Forschungsprojekt Läppkes Mühlenbach
Der Läppkes Mühlenbach ist ein Zulauf der Emscher, der im Rahmen der Emscher-Renaturierung von einem Abwassergraben zu einem naturnahen Bach umgebaut wurde. Auf einer Forschungsprojektfläche zwischen dem Gleispark Frintrop und dem Ovisions-Gewerbegebiet wurde beim Umbau jedoch auf eine landschaftsgärtnerische Gestaltung verzichtet und eine freie Sukzession zugelassen. Diese wird seit der Neugestaltung des Bachbettes im Jahr 2016 durch die Biologische Station, durch Forschungsgruppen der Universitäten Duisburg-Essen und Bochum sowie durch die Emschergenossenschaft und den Regionalverband Ruhr wissenschaftlich dokumentiert. Beobachtet werden die Entwicklung der Gesamtflora und der Vegetation auf 18 Transektpunkten, die Bodenentwicklung und verschiedenste faunistische Gruppen. So können Aussagen über den Verlauf der biologischen Besiedlung getroffen werden und wertvolle Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob und unter welchen Bedingungen das Zulassen von Sukzession bei vergleichbaren Projekten eine Alternative zur gärtnerischen Gestaltung ist.
Flora 2016/2017
Erste Begehungen der Fläche fanden bereits im Spätsommer und Herbst 2016, direkt nach Abschluss der Geländemodellierung, statt. Dabei wurden auf den weitgehend vegetationsfreien Rohbodenflächen bereits 68 Pflanzenarten festgestellt. Im Frühjahr 2017 wurden die floristischen Untersuchungen über den Zeitraum der Vegetationsperiode bis zum späten Herbst fortgeführt. Dabei wuchs die Artenliste auf 151 Pflanzenarten an, wobei alle im Vorjahr bereits kartierten Arten auch wieder aufgefunden wurden. Herauszuheben sind dabei Arten, die zu den Charakterarten der Industriebrachen im Ruhrgebiet zählen, insbesondere Massenbestände des neophytischen Klebrigen Gänsefußes (Dysphania botrys) auf der Fläche. Des Weiteren konnten auf den offenen Flächen des Läppkes Mühlenbachs eine ganze Reihe von heimischen Arten kartiert werden, die für naturnahe Standorte charakteristisch sind, dort aber aufgrund von Veränderungen des Lebensraums bedroht sind und auf anthropogene Sekundärstandorte ausweichen mussten. Besonders erfreulich war in dieser Hinsicht der Fund von mehreren Exemplaren des Schwarzen Bilsenkrautes (Hyoscyamus niger). Die in NRW nur sehr seltene, als Ruderalpflanze auftretende Art wurde in den vergangenen zehn Jahren intermittierend auf dem angrenzenden Gelände des ehemaligen Elektrostahlwerks gefunden.
Flora 2018
Aufgrund der extremen Trockenheit, die sich an offenen Ruderalstandorten wie dem Läppkes Mühlenbach besonders gravierend zeigte, fast ausschließlich abgestorbene oder nur noch wenig vitale Pflanzen vorgefunden werden. Zudem blieb das Aufkommen einiger weiterer, hauptsächlich im Sommer wachsender Arten offensichtlich ganz aus. Im Jahresvergleich fiel zunächst auf, dass jährlich Keimlinge neuer Gehölzarten dazukommen, die zukünftig Gehölzstadien bilden könnten. Neben häufigen und auf Brachen typischen Pioniergehölzen wie Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii), Sand-Birke (Betula pendula) oder Weiden (Salix spp.) – wobei das Auftreten der Silberweide (Salix alba) als typische Auwaldart hier besonders interessant ist – sind dies durchaus auch potentielle Waldbildner wie Ahorn (v. a. Acer pseudoplatanus, aber auch A. platanoides und A. campestre), sowie bemerkenswerterweise auch Stiel-Eiche (Quercus robur) und Buche (Fagus sylvatica).
Erwartungsgemäß wird ein Großteil der Flora durch typische Pflanzenarten der Pionierstadien auf Industriebrachen gebildet. Dies ist beispielsweise der Unterbrochene Windhalm (Apera interrupta), eine Art aus dem Mittelmeergebiet, die bundesweit schwerpunktmäßig im Ruhrgebiet vorkommt und hier sehr eng an Pionierstandorte auf Industriebrachen gebunden ist. Diese Standorte werden auch von der Dach-Trespe (Bromus tectorum) besiedelt, die allerdings heimisch ist und häufiger auf vergleichbaren Ruderalstandorten auftritt. Auch der Klebrige Gänsefuß (Dysphania botrys) aus Südosteuropa besiedelt bevorzugt Industriebrachen, während der Australische Gänsefuß (Dysphania pumilio) hauptsächlich und häufig am Rheinufer zu finden ist, gerade aber auch im Rheinland gelegentlich auf Industriebrachen übersiedelt. Zu den heimischen Arten, die in der Naturlandschaft bedroht sind, auf Industriebrachen aber einen Sekundärlebensraum finden, gehören das Silber-Fingerkraut (Potentilla argentea), das Raue Vergissmeinnicht (Myosotis ramosissima), sowie die Sprossende Felsennelke (Petrorhagia prolifera). Auch das Schwarze Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) konnte weiterhin mit wenigen Exemplaren aufgefunden werden. Eine durchaus bemerkenswerte Gewässerpflanze, die mit einem kleinen Bestand an einer mit Regenwasser gefüllten Blänke im Bachbett siedelte, ist die Borstige Schuppenbinse (Isolepis setacea). Sie besiedelt nährstoffarme Pionierstandorte auf Schlammböden, leidet aber unter der allgemeinen Eutrophierung von Gewässern.
Flora 2019
Im Jahr 2019 konnten insgesamt 255 Pflanzensippen im Gebiet nachgewiesen werden. Unter den Neuzugängen innerhalb der Flora befanden sich eine Reihe von Arten, die höchstwahrscheinlich von alleine oder zumindest unbeabsichtigt ins Gebiet gelangt sind. Die Golddistel (Carlina vulgaris), ursprünglich eine Art der Kalkmagerrasen, ist sicher vom Gleispark Frintrop eingewandert, wo größere Bestände der Art auf der Gleisharfe existieren. Allgemein in Stadtbiotopen, auf Ruderalstellen und Flussufern in Ausbreitung befindet sich der Portulak (Portulaca oleracea), der von den trocken-warmen Sommern profitiert. Im Jahr 2019 konnte er erstmals auch am Läppkes Mühlenbach nachgewiesen werden. Erstmals im Gebiet vorgefundene Gehölze sind Keimlinge oder Jungwuchs von Eberesche (Sorbus aucuparia), Linde (Tilia spec.) sowie Walnuss (Juglans regia).
Auch das vegetationskundliche Dauermonitoring auf den eingerichteten 18 Monitoringflächen wurde fortgeführt. Interessant ist, dass die Auswirkungen des extrem trockenen vorherigen Sommers im aktuellen Berichtsjahr schon nicht mehr sichtbar waren. Auf der Mehrzahl der Flächen ist eine Verdichtung der jeweilig vorherrschenden Dominanzbestände zu beobachten, vor allem aus Echtem Johanniskraut (Hypericum perforatum) mit Anteil von Schmalblättrigem Greiskraut (Senecio inaequidens) oder Natternkopf (Echium vulgare). Auch die Hochstaudenfluren aus Nachtkerzen (Oenothera spp.) und Königskerzen (Verbascum spec.) bleiben hinsichtlich des floristischen Inventars relativ stabil, wobei eine Zunahme der Abundanzen zu verzeichnen ist.
Flora 2020
Nach einem steilen Anstieg in den ersten drei Jahren flachte die Kurve der Gesamtartenzahl im Gebiet ab 2018 ab, sodass nur noch eine geringe Zunahme der rein quantitativen Artenvielfalt verzeichnet werden kann. Während im vergangenen Jahr 252 verschiedene Pflanzensippen im Gebiet nachgewiesen wurden, waren im Jahr 2020 264. Es wird deutlich, dass sich eine Sättigung einstellt. Dennoch traten auch einige Arten im Jahr 2020 erstmals im Gebiet auf und Funde der letzten Jahre konnten bestätigt werden. Neu waren mehrere Pflanzen des Niederliegenden Fingerkrauts (Potentilla supina). Die Art hat ihren Verbreitungsschwerpunkt in der Rheinaue und besiedelt dort schlammige Uferbereiche vom Rhein und seinen Altarmen. Außerhalb der Rheinaue tritt die Art nur selten auf, scheint sich aber derzeit auf Industriebrachen, insbesondere im rheinländischen Teil des Ruhrgebiets, leicht auszubreiten. Eine weitere Ausbreitung ist beim Klebrigen Alant (Dittrichia graveolens) zu verzeichnen, der im Bereich des Weges zwischen Schollenfuß und Abhang zur Bachaue siedelt.
Flora 2021
Insbesondere in der Bachaue ist eine zunehmende Verbuschung zu verzeichnen. Dort, wo in den Vorjahren Gehölze wie Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii) oder Birke (Betula pendula) in der Krautschicht aufwuchsen, haben sie nun die Strauchschicht erreicht und bilden teils dichte Dominanzbestände. Würde eine entsprechende Fläche im Sinne des Naturschutzes mit Ziel der Offenhaltung gepflegt, wäre wohl nun der Zeitpunkt überschritten, die mageren Rohbodenflächen noch ohne erheblichen Aufwand offen zu halten. Je weiter die Sukzession fortschreitet, desto aufwändiger ist es, die Gehölze zurückzudrängen und eine Pionierflur ist nur noch durch Rodung wiederherzustellen.
Interessant ist ein Phänomen, dass auch auf anderen Industriebrachen beobachtet werden kann: die Gehölzsukzession findet direkt auf dem Rohboden statt und überspringt hier rasch die postulierten Stadien der Hochstaudenflur oder Altgrasbestände. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Birke oder Schmetterlingsflieder die Strauchschicht bilden, aber auch bei den Weiden wird dies auf der Projektfläche beobachtet. Lediglich einige Hänge bleiben offenbar aufgrund des Substrats und der Exposition noch spärlich bewachsen. Auch innerhalb der Aue gestaltet sich die Vegetationsentwicklung durchaus unterschiedlich. So ist diese auf den sandig-trockenen Flächen in der Aue grundsätzlich geringer als im gestalteten Bachbett selbst, das zwar noch kein Wasser führt, jedoch aber zeitweise mit Regenwasser gefüllt ist und wasserstauende Eigenschaften aufweist.
Bemerkenswerte floristische Neufunde sind das Sand-Vergissmeinnicht (Myosotis stricta), von dem wenige Exemplare im offenen Bereich neben auf nördlichen Schollenkuppe gefunden wurden. Die Art gilt als charakteristisch für Sandmagerrasen, siedelt aber in einigen, jedoch eher seltenen Fällen auch auf Industriebrachen. Auch vom Feld-Mannstreu (Eryngium campestre) wurden einige Jungpflanzen im Gebiet entdeckt. Er ist im westlichen Ruhrgebiet hauptsächlich im Rheintal verbreitet und breitet vor allem auf offenen, mageren Rheindeichen mit seiner Strategie als Steppenroller aus.
Flora 2022/2023
Im Jahr 2022 ergab sich bei der Kartierung des Läppkes Mühlenbaches mit dem Kurzfrüchtigen Weidenröschen (Epilobium brachycarpum) ein bemerkenswerter Neufund. Die Art breitet sich aktuell offenbar im Ruhrgebiet auf Flächen mit Pioniervegetation wie Industriebrachen oder Bahngleisen aus. Insgesamt wurden in 2022 im Untersuchungsgebiet 272 Pflanzenarten nachgewiesen. Nachdem die Artenzahl in den vergangenen Jahren stets gewachsen war, deutete dies erstmal eine Trendumkehr an. Der Eindruck verfestigte sich im Jahr 2023: Insgesamt scheint durch die Etablierung der Gehölzstadien eine relativ stabile Phase erreicht. Der Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia myuros) konnte in vielen Aufnahmen Zunahmen verbuchen, obwohl es sich um eine Pionierart handelt. Die Zunahmen sind allerdings wohl auf die feuchte Witterung des Frühjahres zurückzuführen, nicht auf eine dauerhafte Veränderung der Flächen. Obwohl allgegenwärtig die Verbuschung zunimmt und dichter wird, findet auch auf den noch offenen Flächen ein steter Wandel statt. So konnte ein weiterer Standort der Sprossenden Felsennelke (Petrorhagia prolifera, RL NRW 3, WB 2, BRG 3) verortet werden. Bemerkenswert ist auch die Zunahme des vor zwei Jahren erstmals entdeckten Feld-Mannstreus (Eryngium campestre, RL WB 2, BRG 3). Auch das Kurzfrüchtige Weidenröschen (Epilobium brachycarpum), welches im Vorjahr erstmals auf der Fläche registriert wurde, hat sich auf einer Scholle stark ausgebreitet und siedelte im Jahr 2023 hier bereits massenhaft in tausenden Exemplaren. Im Jahr 2023 blieb die Gesamtartenzahl mit 273 Arten im Vergleich zum Vorjahr (272 Arten) nahezu konstant. Somit ist davon auszugehen, dass, bedingt durch die Sukzession, aktuell eine Plateauphase hinsichtlich der Phytodiversität erreicht ist.
Zusammenfassung und Fazit
Die Entwicklung der Artenanzahl scheint aktuell eine Plateauphase zu erreichen. Wie lange diese konstant bleibt und ob es in der näheren Zukunft zu einem Absinken der Artenzahl kommen wird, ist in der weiteren Projektlaufzeit zu beobachten. In den Trockenjahren 2018-2020 könnte es zu einer leichten Untererfassung gekommen sein, da Arten eventuell nicht zur Entwicklung gekommen sind oder im abgestorbenen Zustand übersehen wurden.
Um zu prüfen, wie sich die Artenzusammensetzung ändert, wurden die Ähnlichkeiten der jährlich erhobenen Artenlisten im Jahr 2020 mittels des Ähnlichkeitskoeffizienten nach Sörensen berechnet. Hier ist auffällig, dass die Artenlisten mit fortschreitenden Jahren immer ähnlicher werden, nachdem anfangs noch hohe Fluktuationen im Artenspektrum stattfanden. Auch dies bestätigten die Erfahrungen und Erwartungen, dass sich nach einer frühen, durch wechselnde einjährige geprägten Phase Gehölze durchsetzen, die naturgemäß konstantere Vorkommen bilden. Aussagekräftig ist ebenfalls der Vergleich der Lebensformen, insbesondere der Therophyten und Phanerophyten (inkl. Nanophanerophyten) über die Jahre, da zu erwarten ist, dass sich die Sukzession von einer artenreichen Therophytenflur in Richtung eines artenärmeren Gehölzbestandes entwickelt. Hier zeigen die Daten eindrücklich und erwartungsgemäß eine prozentuale Abnahme der einjährigen Arten bei gleichzeitiger Zunahme der Baum- und Straucharten innerhalb des Gesamtspektrums.