Typische Friedhofspflanzen
Neuseeländisches Schaumkraut
Das Neuseeländische Schaumkraut gehört sicher zu den interessantesten Pflanzenarten, die im Rahmen der Friedhofskartierung nachgewiesen wurden. Dabei ist die Verwandtschaft zu heimischen Cardamine-Arten nur auf den zweiten Blick erkennbar. Die Pflanzen werden nur wenige cm hoch und tragen verhältnismäßig große vierzählige Blüten. Die winzigen Pflänzchen wachsen auf Gräbern, teils ragen sie zwischen Bodendeckern hervor, mit dessen Erde oder Pflanzmaterial ihre Samen aller Wahrscheinlichkeit nach unbeabsichtigt an den Standort gelangten. Für Botaniker*innen gehört Cardamine corymbosa zu den bemerkenswerten Neubürgern, bei denen unklar ist, ob sie einmal den Sprung von Friedhofsgräbern in die Siedlung schaffen und sich dort möglicherweise etablieren können. Aktuell gelingen Funde jedoch nur äußerst spärlich und immer in Zusammenhang mit Friedhöfen und Gärtnereien.
Frühlings-Hungerblümchen
Im zeitigen Frühjahr überzieht ein zierlicher weißer Teppich unsere Brachflächen, Ruderalstellen und Wegränder. Um die winzigen Pflänzchen zu erkennen, ist es nötig, niederzuknien und ganz genau hinzuschauen. Es handelt sich um Frühlings-Hungerblümchen aus der Familie der Kreuzblütler. Die winterannuellen Pflanzen bilden ihre Rosetten bereits im Herbst und überwintern in diesem Zustand, sodass sie bei den ersten wärmeren Sonnenstrahlen im Vorfrühling rasch erblühen können. Der deutsche Name bezieht sich auf die mageren Standorte, schöner ist jedoch die Übersetzung des (alten) wissenschaftlichen Namens. So bedeutet Erophila (griech.) frühlingsliebend und verna (lat.) Frühling. Heute wird die Art von Taxonomen jedoch in die Gattung Draba = Felsenblümchen gestellt.
Dreifinger-Steinbrech
Der Dreifinger-Steinbrech gehört zu den eher unscheinbaren weißen Pflänzchen des zeitigen Frühjahres. Dabei macht er seinem Namen alle Ehre. Zwar vermag Saxifraga tridactylites keine Steine zu brechen, so wirkt es aber, wenn die markanten Blätter ab Ende Februar in Mauerfugen oder auf steinigen und mageren Rohböden erscheinen. Die erst länglichen Blätter spalten sich mit zunehmender Entwicklung erst in drei, später sogar in fünf „Finger“ auf. Als Anpassung an den kargen, trockenen Standort sind die Blätter dickfleischig und klebrig-drüsig. Bei starker Sonneneinstrahlung verfärbt sich die Pflanze rot. Später im Jahr sind von der einjährigen Art nur noch die vertrockneten Überreste vorhanden, während die Samen in den Mauerfugen auf das Ende des nächsten Winters warten.
Elfen-Krokus
Krokusse gehören zu den sogenannten Stinsenpflanzen – einmal gepflanzt überdauern sie über viele Generationen an einem Standort und zeigen so die menschliche Kulturgeschichte noch nach Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten an. Ihre Arten und Sorten genau zu benennen ist sogar für Botaniker*innen schwierig bis unmöglich, so unübersichtlich ist ihre gärtnerische Vielfalt. Crocus tomasinianus allerdings, mit dem zauberhaften deutschen Namen "Elfen-Krokus", ist der einzige der Art, der bei uns regelmäßig auch im Siedlungsraum verwildert. Er stammt aus Osteuropa und wächst nicht nur in Parks und Gärten, sondern auch in Pflasterfugen. Als Frühblüher ist er eine wertvolle Futterpflanze für früh fliegende Insekten.
Erdbeer-Fingerkraut
In NRW gilt das Erdbeer-Fingerkraut als strenge Berglandart, sodass bislang bekannte Vorkommen im Ruhrgebiet fast ausschließlich die Grenze des Süderberglandes kennzeichneten. Dies ist beispielsweise auf dem Mülheimer Altstadtfriedhof der Fall, der sich in einem spitzen Ausläufer des Süderberglandes befindet, welcher in die Naturräume Niederrheinisches Tiefland und Westfälische Bucht ragt, die das Mülheimer Stadtgebiet biogeographisch untergliedern. Im Rahmen der Friedhofskartierungen wurden jedoch nicht nur einige weitere Funde der Art im Bergland des Essener Südens bekannt, sondern auch einige Vorposten der Art weit im Niederrheinischen Tiefland. Potentilla sterilis besiedelt bevorzugt Friedhofsmauern und Magerrasen. Möglicherweise handelt es sich hierbei um Relikte einer ehemals weiteren Verbreitung der Art im Tiefland, die dem Verschwinden der Magerrasen zum Opfer fiel.
Fremder Ehrenpreis
Der Fremde Ehrenpreis stammt aus Süd- und Mittelamerika und befindet sich offenbar gerade bei uns in Ausbreitung, möglicherweise sogar in Einbürgerung. Auf Friedhöfen ist er bereits regelmäßig zu finden, zunehmend aber auch im Siedlungsbereich. Wahrscheinlich wurde die Art wie so viele Neubürger auf Friedhöfen durch Pflanzmaterial eingeschleppt. Auch er ist eine Art, die man erst einmal im Blick haben muss, um sie überhaupt finden zu können. Während die unteren Laubblätter gekerbt sind, sind die Tragblätter ganzrandig. Veronica peregrina bildet zahlreiche kleine weißliche Blüten. Der Blüten- bzw. Fruchtstand ist dabei auffällig lang und macht einen großen Teil der nur bis zu 15 cm kleinen Pflanze aus.
Glänzender Storchschnabel
Funde von Geranium lucidum auf Friedhöfen sorgten für die botanischen Überraschungen des Jahres. Die heimische Pflanzenart kommt selbst bundesweit nur selten vor, in NRW sind nur vereinzelte Standorte bekannt, z. B. im Hönnetal. Der Glänzende Storchschnabel besiedelt Staudenfluren, Fels- und Geröllfluren, trockenwarme Waldränder, teils auch Mauern. Wie die Art auf Friedhöfe im westlichen Ruhrgebiet gelangt, konnte bislang noch nicht geklärt werden. Vielleicht wurden Samen durch Baumaterialien eingeschleppt. Da die Friedhöfe im westlichen Ruhrgebiet jedoch bislang kaum botanisch untersucht wurden, ist es auch möglich, die Vorkommen hier schon länger existierten und noch nicht durch die Fachwelt registriert wurde.
Pariser Labkraut
Das Pariser Labkraut hat seinen Verbreitungsschwerpunkt im Mittelmeerraum und kommt in der Bundesrepublik nur in wenigen wärmebegünstigten Regionen vor, beispielsweise am Oberrhein, und dort auch nur zerstreut. In NRW ergaben sich in den letzten Jahren ganz vereinzelt Funde auf Industriebrachen oder in Zierrasen. Im Rahmen des Friedhofsprojekt wurde Galium parisiense auf zwei Friedhöfen in Duisburg und Mülheim an der Ruhr nachgewiesen. Möglicherweise wird die Art aber auch aufgrund ihrer unauffälligen Erscheinung und mangels Bewusstseins übersehen.
Ackerröte
Sherardia arvensis gehört zu den vielleicht bemerkenswertesten Pflanzenarten im Ballungsraum. Früher war sie in basenreichen Äckern zu finden, jedoch ist sie dort durch die heutigen Bewirtschaftungsformen nahezu ausgerottet. Gäbe es nicht die mageren Zierrasen der Stadt, stünde die Ackerröte wohl heute sehr hoch auf der Roten Liste. Ihre Blätter stehen in einem sogenannten Quirl um den rauen Stängel, oft wächst die Art jedoch eher kriechend. Durch diesen flachen Wuchs bleibt sie unter der Schnittkante des Rasenmähers. Vegetativ ist sie zwar nur mit etwas Übung von Labkraut-Arten unterscheiden, aber bereits kurz nach dem Schnitt vermag sie von Mai bis spät in den Sommer hinein immer aufs Neue ihre zarten rosafarbigen Blüten hervorzubringen, sodass die Art dann sofort ins Auge springt. Sie gilt heute als typische Stadtpflanze und ist auch auf mageren Zierrasen unserer Friedhöfe häufig anzutreffen.
Balkan-Windröschen
Unser heimisches Buschwindröschen (Anemone nemorosa) kennt ein jeder. Während dieses jedoch Bachauen in naturnahen Wäldern bevorzugt, gibt es auch ein echtes Stadt-Windröschen: Das violettblühende Balkan-Windröschen aus Südosteuropa. Die hübsche Art wird gerne als Frühblüher in Vorgärten oder auf Friedhöfen gepflanzt und verwildert von dort aus zunehmend. Möglicherweise können wir bei der Art derzeit eine Einbürgerung beobachten. Das zweite heimische Gelbe Buschwindröschen benötigt kalkreiche Böden auf naturnahen Stadtorten und kommt bei uns im Ruhrgebiet nur äußerst selten als Außenposten seines Verbreitungsgebietes vor.
Glänzender Ehrenpreis
Die Vertreter der großen und vielgestaltigen Gattung der Ehrenpreise sind nicht immer ganz einfach voneinander zu unterscheiden. Veronica polita zeichnet sich durch himmelblaue Blüten aus und durch rundliche, gleichmäßig behaarte Früchte. Sie gehört typischerweise in die Acker- und Ruderalflora, ist bei uns im Ruhrgebiet allerdings recht selten und Vorkommen der Art sind schon eine kleine Besonderheit. Die meisten Funde gelingen auf Friedhöfen, auf denen aktive Begräbnisse stattfinden. Hier wird der Boden - ähnlich wie im Acker - umgegraben und es werden offene, konkurrenzarme Standorte geschaffen.
Italienischer Aronstab
Arum italicum ist durch seine weißen Zeichnungen auf den Blättern schon auf den ersten Blick gut vom heimischen Gefleckten Aronstab (Arum maculatum) zu unterscheiden. Die Attraktivität der Blätter führte wohl auch dazu, dass die aus dem Mittelmeerraum stammende Art gerne in Gärten oder auch auf Friedhöfen gepflanzt wird. Hier gedeiht sie prächtig und macht wie viele Zierpflanzen weder am Gartenzaun noch am Rand der Grabbepflanzung halt. Verwilderungen sind daher gerade im Siedlungsraum immer wieder anzutreffen.
Breitblättrige Stendelwurz
Auch Orchideen gibt es auf Friedhöfen im westlichen Ruhrgebiet. Darunter eine Art, die tatsächlich als „Friedhofsorchidee“ bezeichnet werden kann: die Breitblättrige Stendelwurz (Epipactis helleborine). Fast auf jedem Friedhof ist diese Orchidee zu finden und zeigt mit Beginn des Sommers ihre bräunlich-roten Blüten. Zwar ist Epipactis helleborine auch in der Stadt nicht selten und gehört damit zu unserer einzigen heimischen Orchideenart, die keine Rarität darstellt, jedoch leiden ihre Bestände unter der Eutrophierung von Säumen. Daher sind ihre Bestände, wie die aller Orchideen, völlig zurecht gesetzlich geschützt.
Acker-Filzkraut
Filago arvensis gehört zu den absoluten botanischen Raritäten unserer Flora. Vor Beginn unserer Friedhofsuntersuchungen galt das Acker-Filzkraut im Ruhrgebiet noch als ausgestorben. Selbst in ganz NRW tritt die Art nur äußerst selten auf. Ökologisch ist sie ein starker Magerkeits- und Trockenheitszeiger und siedelt natürlicherweise auf sehr extensiven und mageren, sandigen Äckern und an entsprechenden Ruderalstandorten. Weitere Vorkommen existieren auf Mager- und Trockenrasen. Bislang wurde Filago arvensis auf zwei Friedhöfen im westlichen Ruhrgebiet nachgewiesen und zwar in einem mageren Zierrasen und im Wegschotter.
Japanisches Reisfeld-Schaumkraut
Einige Neubürger unter den Pflanzen springen sofort ins Auge, andere sind eher etwas für den zweiten Blick. Beim Japanischen Reisfeld-Schaumkraut braucht es sogar noch ein paar Blicke mehr, um es zu erkennen und vom heimischen behaarten Schaumkraut (Cardamine hirsuta) zu unterscheiden. Spannend sind Vorkommen von Cardamine hamiltonii allemal. Im Ruhrgebiet findet man diese vor allem in Pflanztöpfen von Gärtnereien oder auf Friedhofsgräbern, wo die Art als blinder Passagier mit Pflanzmaterial hingelangt. Bundesweit gibt es jedoch bereits Einbürgerungstenzenden z. B. auf Schlammuferfluren von Talsperren oder am Bodensee. Ob es das Japanische Reisfeld-Schaumkraut in unsere Stadtflora schaffen wird, bleibt abzuwarten. Wir Botaniker*innen halten die Augen offen!
Gewöhnliches Tellerkraut
Das Tellerkraut ist schon alleine aufgrund seiner Optik ein markantes "Unkraut" auf Friedhofsgräbern, an Baumscheiben oder im Garten. Hierhin wird es meist durch Pflanzmaterial eingeschleppt. Seine Blätter sind zunächst länglich, verbreitern sich dann mit zunehmendem Wachstum löffelartig und wachsen schließlich so zusammen, dass sie den Stängel tellerartig umschließen. Etwas später im Frühling erscheinen dann kleine weiße Blüten, wobei die ganze Pflanze meist recht kleinwüchsig bleibt. Claytonia perfoliata stammt aus Nord- bis Mittelamerika und wird daher auch als Kubaspinat bezeichnet. Weitere Namen sind Winterportulak oder Postelein. In der Botanik gibt es ja bekanntlich ohnehin kein Unkraut - wer Tellerkraut jedoch als solches im Garten findet, darf sich freuen, denn die Pflanzen können als nahrhaftes und vitaminreiches Wintergemüse gegessen werden und werden im Handel z. T. sogar als Spezialität verkauft.
Gelblichweißes Ruhrkraut
Das Gelblich-Weiße Ruhrkraut ist eine der Pflanzenarten, die es zunehmend vom Land in die Stadt zieht. Ursprünglich besiedelte die Art offene und nährstoffarme Heideweiher, die jedoch zunehmend unter Austrocknung und Nährstoffeintrag leiden – und mit ihnen viele der dort beheimateten Pflanzen. Seit einigen Jahren mehren sich jedoch Funde von Helichrysum luteoalbum mitten in der Stadt, meist in Pflasterritzen oder auf Friedhofswegen. Ob die Art mit Bodenmaterial dorthin verschleppt wird oder auf andere Art und Weise, bleibt vorerst ein Rätsel. Für das Gelblich-Weiße Ruhrkraut tragen die Vorkommen in der Stadt jedenfalls zur Stabilisierung der Gesamtpopulation bei.
Echtes Tännelkraut
Eine typische Ackerart auf Friedhöfen ist das Echte Tännelkraut. In der Agrarlandschaft ist die einjährige Art im westlichen Ruhrgebiet so gut wie verschollen. So sind die Restvorkommen auf Friedhöfe und Industriebrachen beschränkt, auf denen Kickxia elatine jedoch regelmäßig auf Wegen, in Pflasterfugen oder als Grab“unkraut“ einen Ersatzstandort findet. Die hübschen gelb-violetten Blüten erinnern dabei an Löwenmäulchen.
Feld-Hainsimse
Die Feld-Hainsimse trägt auch den niedlichen Namen Hasenbrot. Sie braucht offene, etwas bodensaure und vor allem magere Standorte und ist auf Friedhöfen, auf Rasen von Kirchhöfen, seltener auch in Parks und Vorgärten eine charakteristische Art der Magerrasen. Wenn die Vielschnittrasen nicht gemulcht werden, tritt sie hier oft massenhaft auf und ist damit ein Hinweis darauf, dass auf den zweiten Blick in diesen Rasen noch eine ganze Menge weiterer Pflanzenarten zu finden sind und es sich lohnt, in die Knie zu gehen und genau hinzuschauen. Außerhalb der Stadt besiedelt Luzula campestris Heiden, Borstgrasrasen und Sandmagerrasen.
Frühlings-Fingerkraut
Noch in der Roten Liste von 2011 galt das Frühlings-Fingerkraut als ausgestorben. Aufgrund von verschiedenen Funden auf Friedhöfen wurde es auf der neuen Roten Liste im Jahr 2021 für das Ruhrgebiet neu bewertet und gilt dort nun „nur noch“ als „stark gefährdet". Nicht immer ist zu unterscheiden, ob es sich um Relikte der Magerwiesenflora handelt oder um verwilderte Grabbepflanzung. Als solche wird der attraktive Frühblüher nämlich auch verwendet.
Bubikopf
Ein Topf mit Bubikopf-Pflanzen ist ein beliebtes Mitbringsel und wird insbesondere zu Neujahr von Blumengeschäften bis zum Discounter überall angeboten. Verwilderungen der Art werden jedoch kaum bemerkt, da die kleinen, runden Blättchen im Vorgarten oder am schattigen Fuß von Hauswänden eher für Moos oder Keimlinge gehalten werden. Noch viel heimlicher als die vegetative Vermehrung findet die Blüte und die Samenbildung des Brennnesselgewächses statt. Um die winzigen weißen Blüten zu sehen, braucht man schon fast eine Lupe. Einmal im Auge ist die Art jedoch im Siedlungsbereich gar nicht selten und kann mit etwas Glück bei einem botanischen Streifzug „um die Häuser“ gefunden werden. Auf Friedhöfen kommen Bubikopf-Verwilderungen vor allem vor, wenn eine Gärtnerei in der Nähe ist.